Leben und Leistung von Wilhelm Totok
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© Dr. Andreas Totok 2009-2017
Foto: privat

Von Dr. Karl-Heinz Weimann

Wilhelm Totok wurde am 12.9.1921 als ältester Sohn des Kaufmanns Andreas Totok und dessen Ehefrau Luisa, geb. Loch, zu Groß-St.-Nikolaus (Sînnicolaul-Mare) im Banat geboren. Da dieser Landesteil des alten Österreich-Ungarn nach dem 1. Weltkrieg an Rumänien gefallen war, wuchs der junge T. dreisprachig auf: Ungarisch vom Vater her, Deutsch von der Mutter, Rumänisch als Staatssprache. Die Eltern schickten ihn auf eine deutschsprachige Schule in der Banater Hauptstadt Temesvár, wo er seine Schulzeit 1940 mit dem staatlich-rumänischen Abitur abschloß. 1942-44 studierte T. an den Universitäten Marburg/Lahn und Wien Germanistik, Klassische Philologie, Geschichte und Philosophie. Nach dem 2. Weltkrieg erhielt er die deutsche Staatsangehörigkeit. An der Universität Marburg beendete er 1948 seine Studien mit dem Staatsexamen und der Promotion zum Dr. phil.   1949 trat T. in die bibliothekarische Berufslaufbahn ein. Er war zunächst Bibliothekar in Frankfurt am Main (ab 1951 an der Deutschen Bibliothek), dann in Marburg (ab 1957 Bibliotheksrat an der Universitätsbibliothek) und wurde 1962 Direktor der Niedersächsischen Landesbibliothek zu Hannover. In Hannover gründete T. einen eigenen Hausstand (Eheschließung mit Ursula Totok, geb. Fricke; ein Sohn und eine Tochter). In diese Hannoversche Zeit fällt auch die Übernahme einer nebenamtlichen Lehrtätigkeit als Professor an der Fachhochschule Hannover (Fachbereich Bibliothekswesen, Information und Dokumentation). Als Leiter der Niedersächsischen Landesbibliothek (Rangstufe: Leitender Bibliotheksdirektor) hat T. eine gründliche Reorganisation dieser über 300 Jahre alten, traditionsreichen Institution durchgeführt und die vormalige Königliche Bibliothek den erweiterten Aufgaben und der neuen Wirklichkeit des Bundeslandes Niedersachsen angepaßt. Zu dem großen Sanierungsprogramm gehörten u.a. eine wesentliche Vermehrung des Personals und des Anschaffungsetats; der Beginn eines neuen Alphabetischen Verfasserkatalogs im internationalen Zettelformat; die Umstellung des Altbestandes von Gruppen- auf Einzelsignaturen; ein umfassendes Lückenergänzungsprogramm; die Erstellung eines großen präsenten Informationsbestandes. Die Aufgaben der Bibliothek erweiterten sich durch die Schaffung mehrerer Sonderabteilungen:  u.a. 1962 die Abteilung Leibniz-Archiv (zur Auswertung des in der Bibliothek befindlichen Leibniz- Nachlasses und zur Bearbeitung mehrerer Reihen der kritischen Leibniz-Gesamtausgabe der Berliner Akademie der Wissenschaften); 1964 die Abteilung Leibniz-Forschungsbibliothek (zur vollständigen Sammlung und dokumentarischen Erfassung der gesamten Leibniz-Literatur); 1965 als Sonderabteilung die Niedersächsische Bibliotheksschule (mit den beiden Zweigen für den gehobenen und mittleren Bibliotheksdienst, von denen der erstere später in der Fachhochschule Hannover aufging) und 1966 die Abteilung Bibliothekarausbildungsbehörde für das Land Niedersachsen; 1969 die Abteilung Niedersachsen-Dokumentation (Bearbeitung einer laufenden Bibliographie zur niedersächsischen Landeskunde und -geschichte, niedersächsische Biographie). Ab 1969 erfolgte die Einführung der elektronischen Datenverarbeitung (EDV) in den Betrieb der Bibliothek (zunächst für die Niedersächsische Bibliographie, später auch für die Katalogisierung). Mit der Ausweitung der Technischen Hochschule Hannover zur Volluniversität wurde der Niedersächsischen Landesbibliothek ab 1969 auch die Zuständigkeit für die Literaturversorgung der Universität in den Geistes- und Gesellschaftswissenschaften übertragen. Daraufhin wurden ihr ab 1974 mehrere Fachbereichsbibliotheken angegliedert (u.a. für Rechtswissenschaft, Wirtschaftswissenschaft, Sozialwissenschaften, Erziehungswissenschaft, Literatur und Linguistik). Wichtigste Arbeitsgrundlage für die Wahrnehmung aller alten und neuen Aufgaben wurde schließlich der Bibliotheksneubau, den T. Ende der 1960er Jahre durchsetzen und den die Landesbibliothek 1976 beziehen konnte. Zu einem Ergänzungsanbau (Erhöhung der Magazinkapazität auf 2 Millionen Bände) konnte die Bauplanung 1985 abgeschlossen und die Hereinnahme in die mittelfristige Finanzplanung erreicht werden. T. ist auch für das deutsche Bibliothekswesen insgesamt, in Bibliotheksorganisation und Bibliothekspolitik, vielfältig tätig geworden. Er war Mitglied in zahlreichen Kommissionen, Ausschüssen, Arbeitsgruppen, Beiräten und Vorständen, u. a. 1973-75 1. Vorsitzender des "Vereins deutscher Bibliothekare" (VDB, Personal- und Berufsverband), 1977-80 1. Vorsitzender des "Deutschen Bibliotheksverbands" (DBV, Institutionenverband). T. setzte sich für die Institutionalisierung der allgemeinen Sacharbeit des deutschen Bibliothekswesens ein und wurde damit einer der "Väter" des "Deutschen Bibliotheksinstituts" (DBI) in Berlin und bewirkte die Angliederung der Fachkommissionen aus dem VDB und DBV an ebendieses Deutsche Bibliotheksinstitut, dessen Kuratorium er von Anfang an (ab 1977) angehörte. An der Erstellung und Verabschiedung des "Bibliotheksplans '73" (1973) war er als Mitverfasser, an der Publikation der "Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie" ab 1965 (bis heute) als Mitherausgeber beteiligt. Als Bibliograph hat T. mit dem von ihm begründeten "Handbuch der bibliographischen Nachschlagewerke" internationalen Einfluß gewonnen. Es erschien 1953 in 1. Auflage und steht derzeit zweibändig bei der 6. Auflage (1984-85); eine italienische Ausgabe erschien vierbändig unter dem Titel "Manuale internazionale di bibliografia" (1979-84). Auch auf dem Gebiet der Philosophiegeschichte hat sich T. einen internationalen Ruf erworben, insbesondere mit seinem monumentalen auf sechs Bände angelegten "Handbuch der Geschichte der Philosophie" (davon Band 1-4 erschienen 1964-81; Band 5 in Bearbeitung) . Sein engeres Spezialgebiet bildet die Philosophiegeschichte des 17. und 18. Jahrhunderts und die Leibniz- Forschung. Gerade der Leibniz-Forschung hat T. wesentliche Impulse vermittelt. Zunächst durch die oben erwähnte Institutionalisierung mit Leibniz-Archiv und Leibniz-Forschungsbibliothek an der Niedersächsischen Landesbibliothek. Sodann aber auch durch die von ihm ausgehende Gründung der internationalen "Gottfried-Wilhelm-Leibniz-Gesellschaft" (1966) mit Sitz in Hannover, der wichtige Kongresse und Veröffentlichungen zu verdanken sind und die eine eigene Fachzeitschrift herausgibt ("Studia Leibnitiana", ab 1969). Nur summarisch sei erwähnt, daß T. als Wissenschaftler und Autor auf den Gebieten Philosophiegeschichte, Wissenschaftsgeschichte und Bibliothekswissenschaft mit zahlreichen eigenen Publikationen hervorgetreten ist (vgl. dazu die nachfolgende Bibliographie) und daß er der Historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen sowie dem Jury-Gremium für den Niedersachsen-Preis als Mitglied angehört. In Würdigung seiner Verdienste um das deutsche Bibliothekswesen wurde T. 1984 mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet.   

Weimann, Dr. Karl-Heinz. Bibliotheksdirektor a.D., Hannover

Erschienen in: Oberschelp, R., Weimann, K.-H. (Hrsg., 1986): Bibliotheken im Dienste der Wissenschaft, Festschrift für Wilhelm Totok zum 65. Geburtstag, Frankfurt am Main (Klostermann), S. 237-240.  
Wilhelm Totok 1941, Foto: privat
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