Leben und Leistung von Wilhelm Totok
Von Dr. Karl-Heinz Weimann
Wilhelm Totok wurde am 12.9.1921 als ältester Sohn des Kaufmanns Andreas Totok und dessen
Ehefrau Luisa, geb. Loch, zu Groß-St.-Nikolaus (Sînnicolaul-Mare) im Banat geboren. Da dieser
Landesteil des alten Österreich-Ungarn nach dem 1. Weltkrieg an Rumänien gefallen war, wuchs der
junge T. dreisprachig auf: Ungarisch vom Vater her, Deutsch von der Mutter, Rumänisch als
Staatssprache. Die Eltern schickten ihn auf eine deutschsprachige Schule in der Banater Hauptstadt
Temesvár, wo er seine Schulzeit 1940 mit dem staatlich-rumänischen Abitur abschloß. 1942-44
studierte T. an den Universitäten Marburg/Lahn und Wien Germanistik, Klassische Philologie,
Geschichte und Philosophie. Nach dem 2. Weltkrieg erhielt er die deutsche Staatsangehörigkeit. An
der Universität Marburg beendete er 1948 seine Studien mit dem Staatsexamen und der Promotion
zum Dr. phil.
1949 trat T. in die bibliothekarische Berufslaufbahn ein. Er war zunächst Bibliothekar in Frankfurt am
Main (ab 1951 an der Deutschen Bibliothek), dann in Marburg (ab 1957 Bibliotheksrat an der
Universitätsbibliothek) und wurde 1962 Direktor der Niedersächsischen Landesbibliothek zu
Hannover. In Hannover gründete T. einen eigenen Hausstand (Eheschließung mit Ursula Totok, geb.
Fricke; ein Sohn und eine Tochter). In diese Hannoversche Zeit fällt auch die Übernahme einer
nebenamtlichen Lehrtätigkeit als Professor an der Fachhochschule Hannover (Fachbereich
Bibliothekswesen, Information und Dokumentation).
Als Leiter der Niedersächsischen Landesbibliothek (Rangstufe: Leitender Bibliotheksdirektor) hat T.
eine gründliche Reorganisation dieser über 300 Jahre alten, traditionsreichen Institution durchgeführt
und die vormalige Königliche Bibliothek den erweiterten Aufgaben und der neuen Wirklichkeit des
Bundeslandes Niedersachsen angepaßt. Zu dem großen Sanierungsprogramm gehörten u.a. eine
wesentliche Vermehrung des Personals und des Anschaffungsetats; der Beginn eines neuen
Alphabetischen Verfasserkatalogs im internationalen Zettelformat; die Umstellung des Altbestandes
von Gruppen- auf Einzelsignaturen; ein umfassendes Lückenergänzungsprogramm; die Erstellung
eines großen präsenten Informationsbestandes. Die Aufgaben der Bibliothek erweiterten sich durch
die Schaffung mehrerer Sonderabteilungen:
u.a. 1962 die Abteilung Leibniz-Archiv (zur Auswertung des in der Bibliothek befindlichen Leibniz-
Nachlasses und zur Bearbeitung mehrerer Reihen der kritischen Leibniz-Gesamtausgabe der Berliner
Akademie der Wissenschaften); 1964 die Abteilung Leibniz-Forschungsbibliothek (zur vollständigen
Sammlung und dokumentarischen Erfassung der gesamten Leibniz-Literatur); 1965 als
Sonderabteilung die Niedersächsische Bibliotheksschule (mit den beiden Zweigen für den gehobenen
und mittleren Bibliotheksdienst, von denen der erstere später in der Fachhochschule Hannover
aufging) und 1966 die Abteilung Bibliothekarausbildungsbehörde für das Land Niedersachsen; 1969
die Abteilung Niedersachsen-Dokumentation (Bearbeitung einer laufenden Bibliographie zur
niedersächsischen Landeskunde und -geschichte, niedersächsische Biographie). Ab 1969 erfolgte die
Einführung der elektronischen Datenverarbeitung (EDV) in den Betrieb der Bibliothek (zunächst für die
Niedersächsische Bibliographie, später auch für die Katalogisierung). Mit der Ausweitung der
Technischen Hochschule Hannover zur Volluniversität wurde der Niedersächsischen Landesbibliothek
ab 1969 auch die Zuständigkeit für die Literaturversorgung der Universität in den Geistes- und
Gesellschaftswissenschaften übertragen. Daraufhin wurden ihr ab 1974 mehrere
Fachbereichsbibliotheken angegliedert (u.a. für Rechtswissenschaft, Wirtschaftswissenschaft,
Sozialwissenschaften, Erziehungswissenschaft, Literatur und Linguistik). Wichtigste Arbeitsgrundlage
für die Wahrnehmung aller alten und neuen Aufgaben wurde schließlich der Bibliotheksneubau, den T.
Ende der 1960er Jahre durchsetzen und den die Landesbibliothek 1976 beziehen konnte. Zu einem
Ergänzungsanbau (Erhöhung der Magazinkapazität auf 2 Millionen Bände) konnte die Bauplanung
1985 abgeschlossen und die Hereinnahme in die mittelfristige Finanzplanung erreicht werden. T. ist
auch für das deutsche Bibliothekswesen insgesamt, in Bibliotheksorganisation und Bibliothekspolitik,
vielfältig tätig geworden. Er war Mitglied in zahlreichen Kommissionen, Ausschüssen, Arbeitsgruppen,
Beiräten und Vorständen, u. a. 1973-75 1. Vorsitzender des "Vereins deutscher Bibliothekare" (VDB,
Personal- und Berufsverband), 1977-80 1. Vorsitzender des "Deutschen Bibliotheksverbands" (DBV,
Institutionenverband). T. setzte sich für die Institutionalisierung der allgemeinen Sacharbeit des
deutschen Bibliothekswesens ein und wurde damit einer der "Väter" des "Deutschen
Bibliotheksinstituts" (DBI) in Berlin und bewirkte die Angliederung der Fachkommissionen aus dem
VDB und DBV an ebendieses Deutsche Bibliotheksinstitut, dessen Kuratorium er von Anfang an (ab
1977) angehörte. An der Erstellung und Verabschiedung des "Bibliotheksplans '73" (1973) war er als
Mitverfasser, an der Publikation der "Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie" ab 1965 (bis
heute) als Mitherausgeber beteiligt.
Als Bibliograph hat T. mit dem von ihm begründeten "Handbuch der bibliographischen
Nachschlagewerke" internationalen Einfluß gewonnen. Es erschien 1953 in 1. Auflage und steht
derzeit zweibändig bei der 6. Auflage (1984-85); eine italienische Ausgabe erschien vierbändig unter
dem Titel "Manuale internazionale di bibliografia" (1979-84).
Auch auf dem Gebiet der Philosophiegeschichte hat sich T. einen internationalen Ruf erworben,
insbesondere mit seinem monumentalen auf sechs Bände angelegten "Handbuch der Geschichte der
Philosophie" (davon Band 1-4 erschienen 1964-81; Band 5 in Bearbeitung) . Sein engeres
Spezialgebiet bildet die Philosophiegeschichte des 17. und 18. Jahrhunderts und die Leibniz-
Forschung. Gerade der Leibniz-Forschung hat T. wesentliche Impulse vermittelt. Zunächst durch die
oben erwähnte Institutionalisierung mit Leibniz-Archiv und Leibniz-Forschungsbibliothek an der
Niedersächsischen Landesbibliothek. Sodann aber auch durch die von ihm ausgehende Gründung der
internationalen "Gottfried-Wilhelm-Leibniz-Gesellschaft" (1966) mit Sitz in Hannover, der wichtige
Kongresse und Veröffentlichungen zu verdanken sind und die eine eigene Fachzeitschrift herausgibt
("Studia Leibnitiana", ab 1969).
Nur summarisch sei erwähnt, daß T. als Wissenschaftler und Autor auf den Gebieten
Philosophiegeschichte, Wissenschaftsgeschichte und Bibliothekswissenschaft mit zahlreichen eigenen
Publikationen hervorgetreten ist (vgl. dazu die nachfolgende Bibliographie) und daß er der
Historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen sowie dem Jury-Gremium für den
Niedersachsen-Preis als Mitglied angehört. In Würdigung seiner Verdienste um das deutsche
Bibliothekswesen wurde T. 1984 mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet.
Weimann, Dr. Karl-Heinz. Bibliotheksdirektor a.D., Hannover
Erschienen in: Oberschelp, R., Weimann, K.-H. (Hrsg., 1986): Bibliotheken im Dienste der
Wissenschaft, Festschrift für Wilhelm Totok zum 65. Geburtstag, Frankfurt am Main (Klostermann), S.
237-240.
Wilhelm Totok 1941,
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